Art. 8a des Russland-Embargos: Pflichten von EU-Unternehmen bzgl. ihrer Nicht-EU-Tochtergesellschaften

Jan 1, 2025

Weites Verständnis des Anwendungsbereiches von Art. 8a – auch russische Tochtergesellschaften erfasst

Die Europäische Kommission hat Ende November 2024 ihre FAQ on „Best Efforts“ Obligation→ zur Auslegung von Art. 8a veröffentlicht, der im Zuge des 14. Sanktionspakets in die VO (EU) 833/2014 eingefügt wurde und der EU-Personen die Pflicht auferlegt, sich „nach besten Kräften“ zu bemühen sicherzustellen, dass sich ihre drittländischen Tochtergesellschaften nicht an Handlungen beteiligen, die die restriktiven Maßnahmen der VO (EU) 833/2014 „untergraben“.

In ihren FAQ vertritt die Kommission eine sehr weitreichende Auffassung. So soll nach Auffassung der Kommission ein „Untergraben“ der EU-Sanktionen gegen Russland regelmäßig bereits dann vorliegen, wenn eine Person in Russland Güter oder Dienstleistungen erhält, die Beschränkungen nach der VO (EU) 833/2014 unterliegen. Eines irgendwie gearteten EU-Bezugs der Transaktion soll es aus Sicht der Kommission nicht bedürfen.

Auch die Pflicht, „sich nach besten Kräften zu bemühen“, entsprechende Aktivitäten drittländischer Tochtergesellschaften zu unterbinden, ist aus Sicht der Kommission sehr weit zu verstehen. Die Kommission führt zwar aus, dass nur solche Maßnahmen von der Bemühenspflicht umfasst seien, die für das EU-Unternehmen in Anbetracht seines Tätigkeitsbereiches, seiner Größe und der relevanten faktischen Umstände durchführbar seien. Im Hinblick auf die „faktischen Umstände“ erkennt die Kommission auch ausdrücklich an, dass in Konstellationen, in denen ein EU-Unternehmen aus Gründen, die es nicht zu vertreten habe, z.B. aufgrund entgegenstehender drittstaatlicher Regelungen, keine Kontrolle über (bestimmte) Aktivitäten seiner Drittstaatstochter ausüben könne, keine Pflicht zur Verhinderung sanktionsrelevanter Aktivitäten der drittländischen Tochtergesellschaft bestehe. Jedoch relativiert die Kommission diese Aussage in Bezug auf die russische Rechtsordnung, die die Befolgung der EU-Sanktionen gegen Russland grundsätzlich untersagt. Da bekannt sei, dass Russland kein Rechtsstaat mehr sei, könne eine unzureichende Risikobewertung und ein unzureichendes Risikomanagement in Verbindung mit risikobehafteten Entscheidungen des EU-Unternehmens als selbstverschuldeter Kontrollverlust zu bewerten sein; ein derartiger selbstverschuldeter Kontrollverlust könne die Bemühenspflicht nicht einschränken. Mithin sollen nach Auffassung der Kommission im Ergebnis auch russische Tochtergesellschaften von EU-Unternehmen grundsätzlich vom Anwendungsbereich der Bemühenspflicht erfasst sein.

In ihren FAQ geht die Kommission auf bestimmte Konstellationen ein, in denen EU-Unternehmen verpflichtet sein sollen, Aktivitäten ihrer russischen Tochtergesellschaften zu unterbinden. Erwähnt wird dort der Fall, dass die russische Tochtergesellschaft gelistete Waren für den russischen Markt auf der Grundlage von IP produziert, das ihr durch das EU-Unternehmen zu irgendeinem Zeitpunkt in der Vergangenheit (sanktionskonform) zur Verfügung gestellt wurde. Auch in Fällen, in denen eine russische Tochtergesellschaft einfuhrseitig gelistete Güter (z.B. Anhang XXI-Güter) in Russland herstellt und/oder von dort in Drittländer ausführt, soll nach Auffassung der Kommission die Bemühenspflicht greifen, da das Ziel der einfuhrseitigen Beschränkungen darin bestehe, die wirtschaftliche Basis Russlands zu schwächen und seine Fähigkeit, Kriege zu führen, einzuschränken, indem ihm wichtige Märkte für seine Produkte entzogen werden. Ferner soll im Falle einer Ausfuhr von Waren nach Belarus durch die russische Tochtergesellschaft die gleichlautende Bemühenspflicht in Art. 8i der Belarus-Embargo-Verordnung (EG) Nr. 765/2006 greifen.

Kenntnis von Handlungen, die die Sanktionen untergraben

Nach Ansicht der EU-Kommission soll es für einen Verstoß gegen Art. 8a VO (EU) 833/2014 ausreichen, wenn ein EU-Unternehmen Kenntnis von einer relevanten Handlung hat und darauf nicht reagiert. Das soll in Einzelfällen sogar einen Verstoß gegen das Umgehungsverbot aus Art. 12 VO (EU)833/2014 darstellen, was aus rechtlicher Sicht sehr kritisch zu sehen ist.  

Maßnahmen zur Erfüllung der Bemühenspflicht

Die konkreten Maßnahmen, die unter Art. 8a der VO (EU) 833/2014 zu ergreifen sind, hängen vom Einzelfall ab. Die EU-Kommission nennt eine Reihe von Beispielen, wie die Bemühenspflicht im Einzelfall erfüllt werden kann, darunter z. B. die Umsetzung eines konzernweiten Compliance-Systems, das Teilen von gruppenweiten Compliance-Standards, der Versand regelmäßiger Newsletter, die Umsetzung von Berichtspflichten, die Einführung gruppenweiter Schulungen und Notfallpläne im Falle von Verstößen. Auch ein öffentliches Bekenntnis der drittländischen Gesellschaft, die EU-Sanktionen nicht untergraben zu wollen, kann aus Sicht der EU-Kommission eine angemessene Maßnahme sein. Allerdings weist die Kommission in ihren FAQs darauf hin, dass sie mit den Mitgliedstaatenzusammenarbeiten werde, um klare Erwartungen an die EU-Unternehmen zu formulieren, damit diese ihren Verpflichtungen nachkommen können und in der gesamten EU gleiche Wettbewerbsbedingungen herrschen. Dies impliziert, dass derzeit noch keine verbindlichen Anforderungen an EU-Unternehmen bestehen, sondern diese erst noch geschaffen werden müssen.

Einschätzung

Die Äußerungen der EU-Kommission gehen vielfach über den Wortlaut des Art. 8a VO (EU) 833/2014 hinaus und werden von uns kritisch gesehen, da sie faktisch zu einer extraterritorialen Ausweitung der EU-Russlandsanktionen auf Tochtergesellschaften von EU-Unternehmen in Drittstaaten führen. Vergleichbare mittelbare extraterritoriale Erstreckungen des eigenen Sanktionsrechts auf drittländische Gesellschaften durch die USA wurden in der Vergangenheit von der EU ausdrücklich als völkerrechtswidrig eingestuft (vgl. Frage 21 des Leitfadens zur aktualisierten Blocking-Verordnung).

Zwar sind die FAQs der Kommission nicht rechtsverbindlich. Die letztgültige Auslegung der VO (EU) 833/2014 kommt dem EuGH zu. Der EuGH hat in einigen Fällen FAQs der Kommission bei der Auslegung und Anwendung der EU-Russlandsanktionen ignoriert und eine gegenteilige Auslegung vorgenommen (bspw. Urteil vom 5. September 2024 zu Art. 5n VO (EU) 833/2014, Rechtssache C-109/23), in anderen Fällen aber die FAQs als "zusätzliche Anhaltspunkte zur Klärung der Systematik" herangezogen (Urteil vom 18.01.2018, INEOS, Rechtssache C‑58/17, Rn. 41). Ob der EuGH der Auslegung der Kommission im Fall des Art. 8a folgen würde, lässt sich daher nicht mit Sicherheit sagen.

Daher empfehlen wir betroffenen EU-Unternehmen, ihren derzeitigen Umgang mit drittländischen Tochterunternehmen zu überprüfen und ggf. anzupassen. Dies betrifft vor allem den Umgang mit russischen Tochtergesellschaften; so sollte ein bestehendes Beherrschungsverhältnis im Rahmen des Möglichen genutzt werden, um ein „Untergraben“ der EU-Sanktionen gemäß der Rechtsauffassung der Kommission, wenn möglich, zu unterbinden. Darüber hinaus sollten die weiteren Entwicklungen, insbesondere die von der Kommission angekündigte Abstimmung mit den Mitgliedstaaten zur Formulierung klarer und EU-weit einheitlicher Anforderungen an die Erfüllung der Bemühenspflicht, aufmerksam verfolgt werden.

Dr. Katja
Göcke, LL.M.
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Franziska
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